Peter Roth hat Jeremias Gotthelfs berühmte Erzählung «Die Schwarze Spinne» in eine moderne, politischeOper übersetzt. Den Teufel hat er deshalb aus dem Stück verbannt. Statt dessen fordert er politische Eigenverantwortung ein – die Spinnen-Bedrohung geht vom Atommüll aus. «Eigentlich gehe ich selbst fast nie in die Oper und wie man eine Oper schreibt, wusste ich bis vor kurzem auch nicht.» Das sagt einer, der sich in fast allen musikalischen Genres heimisch fühlt. Aber eben nur fast: Peter Roth spielt zwar Blues und Freejazz, jodelt, spielt Klavier und Hackbrett, leitete verschiedene Chöre und ist ausgebildeter Kirchenmusiker, kennt also auch das klassische Fach. Aber Opern liess er bisher links liegen. 2014 hat er seine erste Oper SPINNEN konzertant aufgeführt; im selben Jahr, in dem er 70 Jahre alt wurde. Der Höhepunkt kommt aber im Jahr 2015. Im Rahmen des Gedenkjahres «100 Jahre Ethik von Albert Schweitzers ‹Ehrfurcht vor dem Leben›» wird CHORES unter Leitung von Erich Stoll die Oper szenisch aufführen.
Mit seiner Oper SPINNEN geht es Peter Roth vor allem darum, eine aktuelle, aber zeitlos gültige Parabel über Verführbarkeit zu erzählen. Oder wie es in seinem Libretto heisst: «Das ist die immerwährende Geschichte von Verführern und Verführten, die sich verführen lassen. Und sagt einer: Ist doch kein Problem, dann nicken sie und folgen dem. Das ist die uralte Geschicht': Selbst denken wollt ihr nicht.»
…Atomkraft ersetzt Teufel …
Politik, Musik und Spiritualität gehören für Peter Roth immer zusammen. So wird etwa seine Vertonung der provokativen «Toggenburger Passion» von Willy Fries (uraufgeführt 1984) landauf, landab von Chören auf die Bühne gebracht – auch von CHORES, jenem Berner Chor, für den Peter Roth nun die Oper SPINNEN komponierte. Der Chor liess ihm bei der Stoffwahl freie Hand. Gotthelfs «Die schwarze Spinne» ist zwar vordergründig kein politischer Stoff, sondern eine heilsgeschichtliche und erbauliche Parabel. In Gotthelfs Erzählung seufzen leibeigene Bauern unter der unmenschlichen Fronarbeit für den Ritter Hans von Stoffeln. Dieser zwingt seine Untertanen nach einem aufwändigen Schlossbau aus einer Laune heraus auch noch, innert eines Monats einen Schattengang von hundert mächtigen Buchen zu pflanzen.
Die Bauern suchen Hilfe in einem Pakt mit dem Teufel, wollen diesen dann überlisten und müssen dafür teuer bezahlen. Die Rache des Teufels ist verheerend. Unzählige fallen der Schwarzen Spinne zum Opfer. Erst standhaftes Gottvertrauen und Opferbereitschaft können die Teufels-Spinne mit einem Holzzapfen in einen Stuben-Balken einsperren.
In Peter Roths Oper hilft statt dem Teufel eine neue, aber gefährliche Energie, deren Abfall für Hunderttausende von Jahren sicher entsorgt werden muss. Und schon ist die Oper in der Gegenwart und beim Reizthema Kernkraft angekommen. Weil das Dorf Fukusiwil heisst, ist der Weg bis zum Strahlentod vorgezeichnet. Denn der «Betonzapfen» dichtet halt nicht perfekt ab. Gott und Gottvertrauen kommen in Peter Roths Oper nicht vor, das naive, apolitische Volk läuft selbstverschuldet ins eigene Verderben.
… Politische Verführung ist zeitlos …
Kann man eine religiöse Erbauungsgeschichte im Rahmen der mittelalterlichen Leibeigenschaft in eine politische Parabel innerhalb der modernen, aufgeklärten Demokratie überführen? Für Peter Roth steht dies ausser Frage: Erstens habe auch Gotthelf die Geschichte für seine religiöse Erbauungs-Botschaft in einer späteren Epoche (19. Jh.) verwendet. Gotthelf erzählte die Geschichte auch als Warnung vor der sittlichen und religiösen Gleichgültigkeit.
Zweitens seien Kritiklosigkeit und Verführbarkeit auch heute weit verbreitet. «Ich habe schon als Jugendlicher bei der Lektüre nicht verstanden, wieso bei Jeremias Gotthelf keiner fragt, wozu der Ritter diesen Schattengang braucht und ihn eventuell davon abzubringen versucht. Der Luxus-Wunsch des Herrschers ist für die Dorfbewohner offenbar unantastbar. Das hat mich gestört», sagt Peter Roth. «Auch dass nach dem Teufelspakt, nach der scheinbar einfachen Lösung, niemand die Verantwortung für die Konsequenzen übernehmen will, fand ich beschämend. Dann kommen Rattenfänger mit simplen Lösungen.» Auf heute gemünzt: «Man läuft auch heute noch gerne jenen nach, die einfache Lösungen versprechen.» So bewundern die Männer den reichen Augusto Hagen, die Frauen lassen sich vom zynischen, gerissenen Berater von der Ungefährlichkeit der neuartigen Energie überzeugen.
…Erfolglose Warnerinnen …
Darum hat Peter Roth zwei Frauenfiguren ins Zentrum seiner Oper gerückt: «Natürlich sind diese Warnerinnen zwei Frauen», sagt Peter Roth. «Frauen reagieren sensibler.» Da ist Christine, die Warnerin in der Gemeinschaft, die vergeblich ihre Mitbürger auf die Gefahren hinweist: «Lasst ab von diesem Technik-Wahn! Ach, bitte Frauen, denkt daran, was ihr den Kindern hinterlässt, denn tödlich ist der Rest. Des Königs Wunsch ist das Problem. Der Mann ist völlig durchgeknallt!» Als Antwort singt der Frauenchor: «Weib schweig! Das ist Ketzerei. Herr Hagen macht uns frei. Er hilft aus aller Not und Pein. Drum lasst uns doch dankbar sein.» Da ist aber auch noch Sophie, eine Figur ausserhalb von Raum und Zeit, die bei Christine als innere Stimme präsent, für das Theaterpublikum aber sichtbar ist und neben der Bühne in einem Scheinwerferkegel steht, die sagt: «Wie mies es euch auch geht, es ändert nichts und bleibt wie’s ist. Bis endlich dann, ganz plötzlich das Grauen in die Welt einbricht.»
…Horror auch in der Musik …
Die Literaturkritik im 20. Jahrhundert hat Gotthelfs Erzählung vor allem wegen dessen eleganter Konstruktion, aber auch wegen dem existenziellen Erschrecken, ja dem Horror, der von der nicht fassbaren, mordenden Schwarzen Spinne ausgeht, bewundert. Diesen Horror setzt Peter Roth musikalisch gleich an den Beginn seiner Ouvertüre. Das sieht schon auf den Notenblätter spektakulär aus. Zunächst steigen die Streicher in schrille Höhenlagen, dann knallt eine Peitsche. Die Herrschaft, die Bedrohung bleiben diesen musikalischen Lagen verbunden. Den musikalischen Gegenpol bilden die Gongs – Ausdruck einer inneren Weisheit, wie Peter Roth sagt.
...«Ehrfurcht vor dem Leben…
Albert Schweitzers Ethik «Ehrfurcht vor dem Leben» und sein Wirken beinhalten gültige Werte der Menschlichkeit, der sozialen Gerechtigkeit, des verantwortungsvollen Umgangs mit den Schätzen der Natur, Pflanzen, Tiere, der gesamten Schöpfung also, und ist eine Kultur des Friedens. Diese Werte und Aufgaben erfordern ein permanentes Nach-, Mit- und Überdenken des eigenen Tuns. Diese Mitverantwortung wird im Gedenkjahr 2015 im Mittelpunkt zahlreicher Aktivitäten stehen. So auch das CHORES-Projekt mit Peter Roths Oper SPINNEN.
«Jede Generation muss ihre Aufgaben selber lösen» –
Albert Schweitzer.